Die Gabe des Zuhörens

Die meisten Menschen scheinen keine sonderlich guten Zuhörer zu sein. Ich erinnere mich daran, wie oft ich „zugetextet“ wurde. Von allen Seiten kamen die gutgemeinten Ratschläge, selten nur erlebte ich es, dass mir jemand einfach zuhörte oder es gar ertrug, still zu sein. Wir sind es gewohnt in einer Welt zu leben, die laut ist, voller Reize und gefüllt mit Worten. Einfach einmal nur den Moment erleben, ohne dabei etwas zu sagen, das scheint uns als Gesellschaft irgendwie abhanden gekommen zu sein. Und es ist sehr vielen Menschen sehr, sehr unangenehm.

Ich nehme mich dabei gar nicht aus. Noch gut kann ich mich an die Zeit erinnern, als meine Oma krank war. Im Angesicht der tödlichen Krankheit war es schwer, die Stille zu ertragen. Konversation war noch schwerer. Meistens war es meine Großmutter, die das Gespräch dann doch irgendwie in Gang gehalten hat, wenn alle anderen nicht wussten, was es nun zu tun oder sagen galt. Wie begegnet man dem Tod, wenn er sich so klar und unmissverständlich aufdrängt? Oder eigentlich, wie erträgt man ihn?

Irgendwann, als wir uns wieder einmal auf den Weg ins Krankenhaus machten, griff ich nach einem Buch, bevor ich das Haus verließ. Ich trage sehr oft Bücher in meiner Tasche. Meistens wohl, um mich ein bisschen weniger einsam zu fühlen. An diesem Tag aber wollte ich lesen. Laut vorlesen, um genau zu sein. Meiner Oma gefiel der Vorschlag und so saß ich an ihrem Bett und las ihr die Gedichte einer heimischen Mundartdichterin vor. Das war schön. Auch das Vorlesen war wohl nur ein Ausweg, um die Stille ein wenig auszufüllen. Ab jenem Tag jedoch, hatte ich das dünne Büchlein bei jedem Besuch bei mir. Viele Gelegenheiten ihr vorzulesen, sollte es nicht mehr geben, aber ich erinnere mich noch gut und gerne an den friedlichen Ausdruck auf ihrem Gesicht. Und wohl auch auf meinem.

Irgendwie glaube ich, das hätte mir auch gefallen. Wenn mir jemand vorgelesen hätte. Die Stille zu ertragen ist nicht leicht, auch für mich ist es das nicht. Aber es gibt vielleicht auch noch andere Möglichkeiten inne zu halten. Da zu sein, ohne den Schmerz dabei zu übersehen.

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