Es tut weh, weil es wichtig ist

Gerade wird mir bewusst, dass ich noch immer äußerst selten Radio höre. Nach dem Unfalltod meines Bruders habe ich gänzlich damit aufgehört. Für über ein Jahr habe ich jegliches Radioprogramm als zusätzliche Lärmquelle wahrgenommen. Ich habe es schlicht nicht ertragen. Irgendwann habe ich dann wieder damit angefangen, ausgewählte Alben zu hören, immer auf Vinyl. Das hat mir Mut gemacht. In der Musik der verschiedensten KünstlerInnen konnte ich mich sehr oft selber wiederfinden. Dort fiel alles Drumherum weg, es ging nur um die Musik, die für sich ganz allein sprechen durfte.

Heute höre ich zumindest im Auto manchmal wieder Radio. Zumindest, wenn ich alleine unterwegs bin. Noch immer ertappe ich mich gelegentlich dabei, bei der Musik etwas lauter und beim Rest etwas leiser zu drehen. Vorgestern war ich von einem Termin unterwegs nach Hause, als FM4 das Lied „Under Water“ spielte. Es fühlt sich noch immer so an, als müsste ich unter Wasser atmen, heißt es in dem Song. So, als würde ich verzweifelt versuchen mich an etwas festzuhalten, um wieder auf die Beine zu kommen. Ich fuhr zur Seite und versuchte mich wieder einigermaßen zu fangen. Das hatte voll ins Schwarze getroffen.

In den vergangenen zwei Jahren habe ich an vielen Elementen meines Lebens hart gearbeitet und auch manches mittlerweile ganz gut auf die Reihe bekommen. Weglaufen, mich verstecken, so zu tun, als ginge das alles schon irgendwann wieder, dass alles wollte ich nicht. Das kam für mich nie in Frage. Stattdessen gehe ich mittendurch. Noch immer bedeutet das, dass mir der Boden unter den Füßen ohne Vorwarnung weggezogen wird. Weil ich zufällig in dem Moment Radio höre, in dem ein Lied gespielt wird, dass eine Flutwelle an Gefühlen in mir auslöst zum Beispiel. Das passiert nicht selten und es ist anstrengend. Trauer ist anstrengend. Aber es ist eben auch schön.

Ein sehr lieber Mensch hat mir einmal gesagt, dass ich irgendwann auf diesen Schmerz stolz sein werde. Stell dir vor es täte nicht weh, hat er mir gesagt, dann wäre er umsonst hier gewesen. Daran muss ich oft denken und ja, mittlerweile kann ich es verstehen. Der Schmerz, dieses unglaubliche Gefühl von Den-Boden-unter-den-Füßen-Verlierens, das ist es was bleibt, aber es wandelt sich in verbindende Liebe. Das heißt nicht, dass es weniger weh tut. Nie tut es das. Und es heißt auch nicht, dass es das soll. Denn auch wenn es sich verdammt oft danach anfühlt, als würde ich unter Wasser versuchen zu atmen, als bekäme ich keine Luft in diesem Dschungel aus Gefühlen, so ist es doch auch immer wieder schön. Es ist schön, am Ende die Oberfläche zu erreichen. Es ist aber genauso schön, am tiefen Meeresgrund zu sitzen und all den Schmerz einfach zuzulassen. Das Eine schließt das Andere nicht für mich aus.

Und hier noch die Links zur Künstlerin officialavec.com und dem Video zum Song youtube.com/watch

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