In roten Schuhen tanzen

Ich trage rote Schuhe.
Sie passen zu mir
hat meine Nachbarin gesagt.
Schuhe, genauso auffällig wie ich,
hat sie gesagt.
Ich weiß nicht, was das heißen soll.

Zu vorlaut, zu ehrlich, zu traurig, zu ehrgeizig, zu wissbegierig, zu unangepasst, zu anders –
weil Frau sich so doch nicht benimmt.
So soll ich sein. Angeblich. Sagt man mir.
Ich vermute, das
hat meine Nachbarin gemeint.

Ich hasse
rote Schuhe.
Schon immer und jetzt ganz besonders.
Jetzt,
in diesem meinem,
diesem anderen Leben.
Ich laufe los,
auf der Suche nach mir selbst.
Wer bin ich, wenn ich niemand sein muss?

Ich stehe an der Mauer.
Friedhofsmauer.
Und ziehe meine Schuhe aus.
Rote Schuhe aus Lack,
fein säuberlich abgestellt,
am Tor. Dahinter Kerzen, Blumen, nichts:
und alles.
Ich öffne die Tür und trete ein,
in meinen Strümpfen.
Als würde ich sein Haus betreten,
in meinen Strümpfen.
So, wie sich das gehört.
Jeden Tag besuche ich ihn,
jetzt im Advent
(auch in jedem anderen Monat).

Ich höre das Knacken von dünnem Eis,
das unter meinen schwarzen Strümpfen bricht.
Schwarze Strümpfe,
auch das will ich nicht sein.
Ich ziehe sie aus.
Laufe weiter. Barfuß.

Am Seiteneingang der Kirche steht ein Kaktus
in einem roten Eimer:
Komisch
sieht er aus.
Einsam und verloren
in diesem roten Kleid,
in das er gesteckt wurde. Unachtsam vielleicht.
Ich schenke ihm meine Strümpfe.
Ist ja bald Weihnachten,
denke ich mir.
Schwarze Strümpfe passen irgendwie
zu ihm. Besser als zu mir jedenfalls.
Roter Eimer statt rote Schuhe.
Ja,
damit kann ich leben.

Ich bin da.
Bei ihm.
Auf einen Schlag ist alles klar.
Ich hole meine Schuhe
und stelle sie aufs Grab.
Bewahr' sie für mich auf,
sage ich ihm.
Für später.
Für wenn ich endlich zu dir komme.
Lass uns in roten Schuhen tanzen,
irgendwann,
du und ich,
sage ich ihm
und lächle.

Nur noch wenige Tage bis Weihnachten,
also darf ich mir was wünschen
und hoffen:
Auf diesen einen gemeinsamen Tanz.

Ich laufe nach Hause.
Ohne Strümpfe, ohne Schuhe:
Barfuß bin ich.
Und ein klein wenig mehr ich selbst.

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