Kleinigkeiten und Großigkeiten

Auf dem Weg zur Arbeit fuhr ich hinter zwei Motorradfahrern her, ein Fahrschüler mit seinem Lehrer. Ich hatte es nicht eilig und fuhr recht entspannt, wenngleich sehr langsam, hinter den beiden Motorrädern her. Bestimmt waren es fünfzehn Minuten, bevor die Keule der Erinnerung sich mit voller Wucht abgesenkt hat. Es waren viele Dinge, die mir so ganz plötzlich durch den Kopf gingen und mich zittern ließen, während meine Augen versuchten, die aufkommenden Tränen wegzublinzeln. Damit hatte ich nicht gerechnet. Nicht jetzt.

So geht es mir sehr oft. Ich mache irgendwas oder auch gerade nichts, bin irgendwo unterwegs oder in den vertrauten vier Wänden und plötzlich kommen sie. Die Erinnerungen. Immer ohne Vorwarnung, immer heftig intensiv, immer herzzerreißend, gleichgültig und unsagbar erschöpfend. Ausgelöst fast immer durch nichts. Und ich meine wirklich nichts. Niemals hätte ich damit gerechnet, dass ein Fahrschüler, dessen Gesicht ich nicht sehen konnte und den ich mit ziemlicher Sicherheit auch nicht kannte, den Schmerz des Verlustes in mir auslösen könnte. Dabei machen die Assoziationen, die hier automatisiert vor sich gehen, keinen Sinn. Nicht, dass das einen Unterschied machen würde. Was macht denn bitte schon noch Sinn?

Diese Frage habe ich mir auch heute, auf meiner kurzen Autofahrt gestellt, während ich verzweifelt versuchte, die Kontrolle zurückzugewinnen. Dabei ist das vermutlich ein Teil des Problems: Kontrolle. Zu oft wurde mir gesagt, dass es nicht gut sei, seinen Gefühlen freien Lauf zu lassen. Mittlerweile weiß ich, dass das nicht stimmt. Ich will meine Gefühle zulassen. Alle Gefühle. Will sie leben und lieben und ein Teil von mir sein lassen. Glück, Trauer, Freude, Schmerz, Liebe, Verlust – sie alle sollen nebeneinander Platz bekommen. Sollen sein dürfen, ohne, dass ich mich dafür rechtfertigen muss. Nicht vor mir selbst und auch nicht vor anderen.

leben – lieben – sterben! sind keine leeren Begriffe für mich, vielmehr sind es die Großigkeiten meines Seins. Sie sind ein Teil von mir, inmitten all der Kleinigkeiten des Alltags.

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