Wem glauben?

Vor ein paar Tagen (Anm.: das war 2019) war ich bei einem Festival hier in der Gegend, das sich FAQ nennt. Frequently Asked Questions. Die Frage des Tages lautete „Wem glauben?“. Inmitten der Diskussion bemerkte ich, wie ich abzuschweifen begann. Das mag an der Runde gelegen haben, ehrlich gesagt glaube ich das aber nicht und es ist auch nicht von Bedeutung.

Entscheidend war die Tagesfrage, die so manches in mir anklingen ließ und auch seither in mir stetig weiterzuarbeiten scheint. Und so stelle ich mir in den letzten Tagen tatsächlich immer wieder die Frage nach dem Glauben. Glaube ich denn überhaupt? Und wenn ja, an wen, oder was?

Nach dem Unfalltod meines Bruders stand ich inmitten eines Scherbenhaufens und konnte mich nirgendwo festhalten. Da gab es keine Glaubensbekenntnisse meinerseits, die mir den Abschied leichter gemacht hätten. Ich kannte keine Methoden, die mir die Stunden, nachdem der Tod sich in mein Leben gedrängt hatte, in irgendeiner Form erleichterten. Nein, da war nichts.

Gott? Wie konnte ich denn bitte in dem Moment an Gott glauben? Das schien mir die verrückteste aller Ideen. Zugegeben, ich hatte schon vorher so meine Konflikte, mit den Dingen, die zu meiner katholischen Grunderziehung gehörten, aber nun war der Zug endgültig an seiner Endstation vorbeigerasselt. Niemals, aber wirklich niemals, so war ich mir sicher, würde ich jemals wieder an Gott glauben. Denn gäbe es ihn, diesen Gott, dann wäre mein Bruder noch am Leben.

Ganz so einfach ist das aber nicht. Ich lag nachts wach und überlegte, was davon denn nun tatsächlich stimmen könnte. Gibt es Gott? Oder gar einen Himmel? Diesen einen Ort, von dem wir im besten Fall träumen können? Ich habe viel dazu gelesen, aber schlussendlich läuft es immer nur auf eine Sache hinaus, meinen Glauben. Ich kann an das Leben nach dem Tod glauben, oder eben nicht.

Ich bin grundsätzlich ein Mensch, der viele Dinge hinterfragt. Einfach nur an etwas zu glauben, das fand ich schon immer schwierig. Als mein Bruder starb, hatte ich keine andere Wahl als zu glauben. Ich musste darauf vertrauen, dass es ihm gut ging, um nicht komplett durchzudrehen. Musste glauben, dass es ihn gab, diesen Himmel. Oft habe ich mich dabei mit der Idee konfrontiert, dass wir wohl kaum arrogant genug sein können, zu denken wir seien die höchste Form allen Lebens in diesem riesigen Universum.

Wir müssen nicht alles glauben, was man uns vorgibt. Das können wir, keine Frage, aber wir müssen nicht. Auch nicht, in der Trauer, denn jeder Mensch trauert anders. Dabei gibt es kein Richtig und kein Falsch. Auch nicht, wenn es um das Thema Glauben geht. Ich meine, dass es völlig egal ist, welche Formen wir für uns finden. Woran wir glauben. Und ob wir zweifeln. Vermutlich gehören die Zweifel sogar dazu. Denn immer, wenn ich zweifle, finde ich auch wieder meine Bestätigung, dass unsere Welt eben nicht das Ende allen Daseins sein kann. Dass es da noch etwas anderes geben muss. Dass er bei mir ist, auch wenn ich ihn nicht sehen kann.

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